SATELLITENTELEFONAT
vom 26.05. [MDR - Sachsenspiegel]
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Ich habe am Dienstagabend mein Traumziel verwirklicht. Wir sind wegen der stürmischen Winde mit drei Stunden Verspätung im Lager vier aufgebrochen und hatten uns mit 14 Uhr am Südgipfel eine Zeit gesetzt, die für den Everest sehr spät ist.


26.05.2001 Mount Everest


Für Stingl erfüllt sich ein Traum Saison am Mount Everest geht zu Ende / Meutzner und Zill kehren um / Türpe und Wiegand warten im Basislager Die Saison am Mount Everest geht zu Ende.

Die sächsische Himalaja-Expedition verbucht mit dem Gipfelsturm von Jörg Stingl einen großen Erfolg. Der Chemnitzer stand als erster Ostdeutscher auf dem mit 8 848 Metern höchsten Berg der Erde.

Die SZ telefonierte am Freitag mit ihm sowie Thomas Türpe und Expeditionsleiter Götz Wiegand. Da wartete das Trio im Basislager auf Frank Meutzner und Olaf Zill.

 
 

Herr Wiegand, was ist in der vergangenen Woche alles passiert?

Jörg Stingl, Thomas Türpe und ich sind am 19. Mai vom Lager eins in 5 943 Metern Höhe zum 6 492 Meter hoch gelegenen Lager zwei aufgebrochen. Auf dem Weg zum Lager drei in 7 315 Metern Höhe stellte einen Tag später eine indische Armee-Expedition eine Sherpa-Truppe zusammen - im Wissen, dass es zum Besteigen des Mount Everest schon ziemlich spät ist. Am 21. Mai ging es dann zum 7 925 Meter hoch gelegenen Lager vier. Der für den späten Abend geplante Gipfelsturm verzögerte sich wegen des schlechten Wetters bis nach Mitternacht. Deshalb entschied ich mich, es nicht mehr zu versuchen. Jörg und Thomas probierten es mit 20 bis 30 Leuten. Die beiden gingen als einzige ohne Sauerstoffgeräte los. Viele andere stiegen frühzeitig wieder ab. Thomas machte auf dem etwa 8 760 Meter hoch gelegenen Südgipfel am Nachmittag kehrt. Jörg zog weiter und erreichte die Spitze - zuletzt ohne ein Fixseil.


Welches Urteil fällt der Leiter nach einem geglückten Angriff?

Fünf Jahre haben wir es versucht. Jetzt ist es einem von uns gelungen. Es war eine erfolgreiche Expedition. Wie geht es denn jetzt weiter? Frank Meutzner und Olaf Zill, die auf dem Weg nach oben waren und es heute versuchen wollten, drehten wieder um. Wir erwarten sie Freitagabend oder Sonnabendvormittag im Basislager. Dort verbringen wir noch drei bis vier Tage, bevor es zurück nach Kathmandu geht.

 
 

Herr Stingl, was sagen Sie zu Ihrem Gipfelsieg auf dem Everest?

Es war ein schwieriges Abenteuer mit vier Freunden. 1996 haben wir davon geträumt. Jetzt hat es geklappt. Ich bin erst vor einer Stunde im Basislager angekommen und mit meinen Gedanken noch ziemlich weit oben. Ab Lager vier lief es planmäßig. Alles stimmte mit den Bildern überein. Es war eine glückliche, aber nicht unumstrittene Entscheidung, am Südgipfel nicht umzudrehen, obwohl die Frist, die wir uns gesetzt hatten, bereits verstrichen war. Es ging leichter als in Büchern beschrieben.


Welche Gedanken gingen Ihnen denn dort oben durch den Kopf?

Auf der Spitze vergisst man alles. Als ich mich umdrehte und unter mir den Südsattel erblickte, dachte ich nur noch daran, wie ich wieder zum Lager vier komme und ob ich es rechtzeitig schaffe. Ich mußte an meine Leistungsgrenze gehen und die letzten Reserven mobilisieren, denn über 8 000 Meter geht nicht mehr viel. Götz wartete auf mich und kümmerte sich um mich, und die anderen fieberten mit.


Wie wichtig ist es Ihnen, auf dem welthöchsten Berg zu stehen?

Das kann man mit nichts vergleichen. Ich habe am Dienstagabend mein Traumziel verwirklicht.

 
 

Wir sind wegen der stürmischen Winde mit drei Stunden Verspätung im Lager vier aufgebrochen und hatten uns mit 14 Uhr am Südgipfel eine Zeit gesetzt, die für den Everest sehr spät ist. Als uns auch noch Deutsche mit Sauerstoffgeräten entgegenkamen, die nicht auf dem Gipfel waren und trotzdem fünf Stunden gebraucht hatten, drehte ich um. Ich wollte nicht mein Leben riskieren. Ein, zwei Stunden kann man überziehen, aber nicht mehr. Wenn man zu lange über 8 000 Meter bleibt, dann kann es sehr kritisch werden.

Wieso blieben Sie dann nicht mit Herrn Wiegand im Lager vier?

Ohne künstlichen, zusätzlichen Sauerstoff darf man sich nur kurz in extremen Höhen aufhalten. Dort oben lebt man immer gefährlich. Deshalb arbeite ich nach der Devise so schnell wie möglich auf den Gipfel und dann so weit wie möglich wieder runter. Ich habe es schließlich bis zum Lager drei geschafft.

Was sagen Sie zu der Leistung Ihres Bergsteiger-Kollegen?

Ich beneide Jörg um den Gipfel, aber nicht um die Entscheidung. Er ist ein hohes Risiko eingegangen und hat auch den möglichen Tod in Kauf genommen. Schließlich drohte er durch die lange Zeit vom Südgipfel bis zur Spitze in die zweite Nacht über 8 000 Meter zu kommen. Es war sicherlich auch sehr schwer für ihn, allein weiterzugehen. Zu zweit ist es immer leichter und einfach gut für die Moral.

Die Gespräche führte Maik Schwert. 26.05.2001


 

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