Für Stingl erfüllt sich
ein Traum Saison am Mount Everest geht zu Ende / Meutzner
und Zill kehren um / Türpe und Wiegand warten im Basislager
Die Saison am Mount Everest geht zu Ende.
Die sächsische Himalaja-Expedition verbucht mit dem Gipfelsturm
von Jörg Stingl einen großen Erfolg. Der Chemnitzer stand
als erster Ostdeutscher auf dem mit 8 848 Metern höchsten
Berg der Erde.
Die SZ telefonierte am Freitag mit ihm sowie Thomas Türpe
und Expeditionsleiter Götz Wiegand. Da wartete das Trio im
Basislager auf Frank Meutzner und Olaf Zill.
Herr Wiegand, was ist in der vergangenen Woche alles passiert?
Jörg
Stingl, Thomas Türpe und ich sind am 19. Mai vom Lager eins
in 5 943 Metern Höhe zum 6 492 Meter hoch gelegenen Lager
zwei aufgebrochen. Auf dem Weg zum Lager drei in 7 315 Metern
Höhe stellte einen Tag später eine indische Armee-Expedition
eine Sherpa-Truppe zusammen - im Wissen, dass es zum Besteigen
des Mount Everest schon ziemlich spät ist. Am 21. Mai ging
es dann zum 7 925 Meter hoch gelegenen Lager vier. Der für
den späten Abend geplante Gipfelsturm verzögerte sich wegen
des schlechten Wetters bis nach Mitternacht. Deshalb entschied
ich mich, es nicht mehr zu versuchen. Jörg und Thomas probierten
es mit 20 bis 30 Leuten. Die beiden gingen als einzige ohne
Sauerstoffgeräte los. Viele andere stiegen frühzeitig wieder
ab. Thomas machte auf dem etwa 8 760 Meter hoch gelegenen
Südgipfel am Nachmittag kehrt. Jörg zog weiter und erreichte
die Spitze - zuletzt ohne ein Fixseil.
Welches Urteil fällt der Leiter nach
einem geglückten Angriff?
Fünf Jahre haben wir es versucht. Jetzt ist es einem von uns
gelungen. Es war eine erfolgreiche Expedition. Wie geht es
denn jetzt weiter? Frank Meutzner und Olaf Zill, die auf dem
Weg nach oben waren und es heute versuchen wollten, drehten
wieder um. Wir erwarten sie Freitagabend oder Sonnabendvormittag
im Basislager. Dort verbringen wir noch drei bis vier Tage,
bevor es zurück nach Kathmandu geht.
Herr Stingl, was sagen Sie zu Ihrem Gipfelsieg auf dem Everest?
Es
war ein schwieriges Abenteuer mit vier Freunden. 1996 haben
wir davon geträumt. Jetzt hat es geklappt. Ich bin erst vor
einer Stunde im Basislager angekommen und mit meinen Gedanken
noch ziemlich weit oben. Ab Lager vier lief es planmäßig.
Alles stimmte mit den Bildern überein. Es war eine glückliche,
aber nicht unumstrittene Entscheidung, am Südgipfel nicht
umzudrehen, obwohl die Frist, die wir uns gesetzt hatten,
bereits verstrichen war. Es ging leichter als in Büchern beschrieben.
Welche Gedanken gingen Ihnen denn
dort oben durch den Kopf?
Auf der Spitze vergisst man alles. Als ich mich umdrehte und
unter mir den Südsattel erblickte, dachte ich nur noch daran,
wie ich wieder zum Lager vier komme und ob ich es rechtzeitig
schaffe. Ich mußte an meine Leistungsgrenze gehen und
die letzten Reserven mobilisieren, denn über 8 000 Meter geht
nicht mehr viel. Götz wartete auf mich und kümmerte sich um
mich, und die anderen fieberten mit.
Wie wichtig ist es Ihnen, auf dem
welthöchsten Berg zu stehen?
Das kann man mit nichts vergleichen. Ich habe am Dienstagabend
mein Traumziel verwirklicht.
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Wir sind wegen der stürmischen Winde mit drei Stunden Verspätung
im Lager vier aufgebrochen und hatten uns mit 14 Uhr am Südgipfel
eine Zeit gesetzt, die für den Everest sehr spät ist. Als
uns auch noch Deutsche mit Sauerstoffgeräten entgegenkamen,
die nicht auf dem Gipfel waren und trotzdem fünf Stunden gebraucht
hatten, drehte ich um. Ich wollte nicht mein Leben riskieren.
Ein, zwei Stunden kann man überziehen, aber nicht mehr. Wenn
man zu lange über 8 000 Meter bleibt, dann kann es sehr kritisch
werden.
Wieso
blieben Sie dann nicht mit Herrn Wiegand im Lager vier?
Ohne künstlichen, zusätzlichen Sauerstoff darf man sich nur
kurz in extremen Höhen aufhalten. Dort oben lebt man immer
gefährlich. Deshalb arbeite ich nach der Devise so schnell
wie möglich auf den Gipfel und dann so weit wie möglich wieder
runter. Ich habe es schließlich bis zum Lager drei geschafft.
Was sagen Sie zu der Leistung Ihres Bergsteiger-Kollegen?
Ich
beneide Jörg um den Gipfel, aber nicht um die Entscheidung.
Er ist ein hohes Risiko eingegangen und hat auch den möglichen
Tod in Kauf genommen. Schließlich drohte er durch die lange
Zeit vom Südgipfel bis zur Spitze in die zweite Nacht über
8 000 Meter zu kommen. Es war sicherlich auch sehr schwer
für ihn, allein weiterzugehen. Zu zweit ist es immer leichter
und einfach gut für die Moral.
Die
Gespräche führte Maik Schwert. 26.05.2001
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