Hallo, Ihr da in der Heimat.
Nun endlich wieder mal eine Meldung von uns. Wie ja bestimmt
schon bekannt geworden ist, überschlagen sich hier die Ereignisse
und so blieb bisher keine Zeit zum Schreiben. Wir sitzen derzeit
alle gesund, aber etwas nervlich angeschlagen in unserem Hotel,
es herrscht Ausgangssperre in Kathmandu. Aber mal der Reihenfolge
nach. Der letzte Bericht endete mit der Beschreibung der Gipfelbesteigung,
und Ole und ich waren auf dem Weg nach oben.
22.05.
5.30 Uhr brechen Ole und ich vom Basislager ins Lager 2 auf.
Doch der gewohnte Weg durch den Eisbruch hat sich erheblich
geändert, besonders im oberen Drittel. Ganze Passagen mit
Eistürmen und Leitern sind komplett verschwunden. Nur eine
riesige Wüste aus Eistrümmer-Blöcken beherrscht das Blickfeld.
Bloß gut, dass alles nachts zusammengebrochen ist. Der Gedanke
an anderes lässt mich erschauern. Bloß durch hier. Gegen Mittag
erreichen wir Camp 2 und warten auf Funkverbindung mit dem
Gipfelteam. 15 Uhr meldet sich Götz und erzählt, dass er unten
geblieben ist und die beiden anderen im Aufstieg sind. Da
meldet sich George und teilt mit, das Thomas abgestiegen ist
und er weitergehen will. Noch ca. eine Stunde wäre es bis
zum Gipfel. Der Rest der Gipfelgeschichte ist ja bekannt und
es ist kaum beschreibbar, was für ein Stein mir vom Herzen
fiel, als endlich gegen dreiviertel neun die Meldung von Götz
ankam, dass George wieder gesund im Camp 4 angekommen ist
und noch dazu mit Gipfelerfolg. Beruhigt schliefen wir ein.
23.05.
Aufstieg ins Camp 3 ohne Probleme. Dort warten wir auf Götz
und George, die ja heute eigentlich ins Lager 2 absteigen
wollen. Aber Stunde um Stunde vergeht, zahlreiche Sherpas
und Bergsteiger kommen von oben runter, nur die beiden nicht.
Endlich gegen 14 Uhr kann ich unterhalb des Gelben Bandes
zwei rote Punkte ausmachen, das müssten sie sein. Unendlich
langsam kommen sie näher. Sie sind es. George scheint völlig
fertig zu sein. Aller fünf bis zehn Meter setzt er sich in
den Schnee. Ich kann das gut nachvollziehen. Nach so einem
Gipfelgang ist es eine unvorstellbare Strapaze, wenn man am
Ende ist mit seinen Reserven. Gegen 16 Uhr erreichen die beiden
unser Zelt, wir umarmen sie. George sieht wirklich mitgenommen
aus. An einen weiteren Abstieg ins Lager 2 ist nicht zu denken.
Also müssen wir uns hier irgendwie einrichten. George nehmen
wir zu uns ins Zelt. Götz nutzt ein leerstehendes Zelt einer
anderen Expedition. Bevor George einschläft, gelingt es mir
noch, ein Interview mit ihm über den Gipfelgang zu machen.
Ich glaube, wenn er sie sieht, wird er selber erstaunt sein
24.05.
Gegen 8 Uhr brechen Ole und ich auf. George geht's besser,
und die beiden wollen dann ins Camp 2 absteigen. Gleich hinterm
Lager 3 steilt die Route auf. Langsam, ganz langsam steigen
wir auf. Wir wollen keine unnötige Kraft vergeuden und haben
genug Zeit. Wieder kommen unzählige Menschen von oben. Am
Vortag haben viele Bergsteiger den Gipfel erreicht, mit einigen
unterhalten wir uns. Fast alle, die runterkommen, wünschen
uns viel Glück, besonders dass das Wetter hält. Wir zwei kommen
gut voran. Ich fühle mich blendend, so gut, dass sogar Sherpas
hinter mir zurückbleiben. Wenn ich doch morgen auch so eine
Form hätte. Im Gelben Band machen wir noch ein paar Filmaufnahmen,
dann folgt der lange Quergang und der Aufstieg zum Genfer
Sporn. Am Ende des Querganges kommt Wind auf, der immer stärker
wird. Drüben am Everest sind schon wieder Schneefahnen zu
sehen. Auf dem Genfer Sporn angekommen, zieht es fürchterlich.
Von hier ist es nicht mehr so weit in den Südsattel. Eine
halbe Stunde später erreiche ich gegen 13 Uhr den berühmt-berüchtigten
Südsattel. Der Sturm lässt die Zelte laut knattern. Ein wirklich
unwirtlicher Fleck hier oben, eine riesige sturmgepeitschte
Fläche. Ich dachte, von hier den Makalu sehen zu können. Aber
da muss man wahrscheinlich bis ans andere Ende des Plateaus
laufen, und bei dem Sturm habe ich wahrlich keine Lust dazu.
Mingma, unser anderer Sherpa, empfängt mich am Zelt, er hat
schon was zu Trinken bereitet.
Ich
krieche ins Zelt, wo es windgeschützt und wärmer ist.
20 Minuten später kommt Ole. Ihm geht es heute nicht ganz
hundertprozentig, sonst wäre er vor mir da gewesen. Wir
richten uns ein und warten auf den Funkkontakt mit den
anderen. George und Götz haben Camp 2 erreicht, und Thomas
ist im Basislager angekommen. Doch die neuesten Wettermeldungen
sind nicht sehr erfreulich. |
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Die Inder sagen Schlechtwetter für die nächsten Tage voraus,
die Amis, dass es eventuell noch einen Tag halten soll. Wir
lassen uns erstmal nicht beirren. Gegen 23 Uhr wollen wir
starten, vorausgesetzt der Wind hat sich bis dahin gelegt.
Doch noch bläst er ohne Pause und beunruhigt uns. Wir beginnen
mit Kochen und dem Füllen unserer Trinkflaschen. Stunde um
Stunde vergeht, der Wind lässt nicht nach. Beim stündlichen
Funkkontakt immer wieder die Frage, geht ihr los? Wir wissen
es nicht, warten ab. 22 Uhr unveränderter Zustand, aber die
Meldung von unten, der Wind soll gegen Mitternacht nachlassen.
Weiß Gott, wo sie das her wissen. Wir vereinbaren, erst am
nächsten Morgen wieder zu funken, so können die anderen endlich
schlafen. Ole und ich überlegen uns, es zu versuchen, vielleicht
lässt der Wind wirklich nach. Wir erhitzen die Getränke in
den Trinkflaschen nochmal und schauen nochmal nach dem Wetter.
Natürlich noch Sturm, aber auf Oles Seite in Richtung Everest
Sternenhimmel. Als ich meinen Zelteingang öffne, trifft mich
bald der Schlag. Über Nuptse und Lhotse zieht von Nepal eine
schwarze Wand heran, darin zucken Blitze. Ich kann mich noch
gut an die gleiche Situation vor ein paar Wochen im Camp 3
und das Wetter am nächsten Morgen erinnern. Das Risiko ist
uns zu hoch. Wenn das Wetter wirklich noch ein paar Stunden
hält, mal vom Wind abgesehen, und wir kommen in Gipfelnähe
und dann schlägt das Wetter um, dann haben wir schlechte Karten.
Von George wissen wir, wie weit das ist und wie langsam man
ohne zusätzlichen Sauerstoff ist. Wir könnten noch ein paar
Stunden abwarten, um zu sehen wie sich das Wetter entwickelt,
aber dann wird es zu spät. Die anderen haben uns dringend
geraten, vor Mitternacht loszugehen, um eine ähnliche Situation
wie bei George zu vermeiden. Unser Entschluss fällt schwer,
aber wir bleiben unten. Eine reelle Gipfelchance sehen wir
für uns nicht. Und nur losgehen, um uns zu beweisen, dass
wir über 8 000 m kommen, müssen wir nicht. Zusammen haben
wir letztes Jahr auf dem Makalu gestanden und uns gut gefühlt.
Deshalb sind wir ja zum Everest gefahren. Aber es unter diesen
Umständen zu probieren, ist uns zu gefährlich, und mit Erfrierungen
musste ich schon mal ungewollt meine Erfahrungen sammeln.
Uns ist klar, das war's für den Everest. Wir sind uns einig,
noch einen Tag hier oben ohne Sauerstoff sitzen, geht nicht.
Wir sind eh schon die Einzigen, die hier ohne Flasche schlafen.
Selbst unser Sherpa nimmt Sauerstoff, und der will nicht zum
Gipfel. Unten habe ich oft gesagt "Bergsteigen am Everest
ist ein Glücksspiel der ganz besonderen Art", und diesmal
habe ich eben kein Glück. Aber damit muss man lernen umzugehen.
Und das ist diesmal einfacher, denn wir sind ja schon eine
erfolgreiche Expedition. Und unser Ziel ist jetzt eine glückliche
Expedition, d. h. alle wieder gesund und ohne Blessuren unten.
Der Wind bläst unvermindert bis nächsten Morgen gegen 6 Uhr,
macht für eine Stunde Pause und weiter geht's. Das Gewitter
hat diesmal nicht die Folgen wie im Camp 3, aber gute Bedingungen
für eine sauerstofflose Besteigung sind es nicht.

25.05.
9 Uhr beginnen wir mit dem Abstieg ins Camp 3. Am Beginn des
Quergangs zum Gelben Band, fast an der selben Stelle wie bei
Aufstieg, hört - wie zum Hohn - der Sturm auf. Nur die Sturmfahnen
am Gipfelgrat zeigen uns, dass da oben alles unverändert ist.
Wir steigen Lager um Lager ab und entscheiden uns letztendlich,
noch bis ganz runter zu gehen. 18.30 Uhr erreichen wir das
Basislager. Die Expedition am Berg ist zu Ende. Nochmals geht
keiner von uns hoch. Obwohl Thomas nochmal überlegt hat. Er
hatte sogar schon Mitstreiter gefunden. Aber letztendlich
waren sie zu der Meinung gekommen, dass es zu spät ist und
das Wetter zu unsicher. Sie sollten Recht behalten. Die nächsten
Tage waren äußerst schlechtes Wetter, und im Eisbruch gab
es einen weiteren riesigen Zusammenbruch, so dass die Route
für Stunden unpassierbar war. Später erzählten die Sherpas
von einer aus zehn Leiterstücken zusammengebundenen Leiter,
um die entstandene Spalte überqueren zu können. Wir feierten
im kleinen Rahmen unseren Erfolg und bereiteten uns auf den
Rückmarsch vor.
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Herzliche
Grüsse Frank und das Team
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