Der Bericht
Text von Götz Wiegand
Nun soll ich also nach fünf Jahren etwas über unsere Shisha Pangma Expedition schreiben.
Nach den vielen Expeditionen zuvor sollte es nun das erste Mal an einen Achttausender gehen.
Aber mal der Reihenfolge nach.
Ich hatte 1989 und 1990 zwei Fahrten zu Siebentausendern in Pamir und Tien Shan organisiert.
Beide Male war ich persönlich erfolgreich gewesen und hatte sowohl Pik Lenin (7134m) als auch
Chan Tengri (7010m) bestiegen.
1992 war ich dann Mitglied der Kongur I Expedition, zu der zehn Bergsteiger aus Brandenburg und
Sachsen aufbrachen. Der Kongur - 7719 m hoch, in der chinesischen Provinz Xinjiang gelegen und sehr
schwer zu besteigen - erforderte eine ganz andere Art von Expedition.
Wir hatten für die Besteigungsgenehmigung zu bezahlen, einen Verbindungsoffizier mitzunehmen,
sind mit Kamelen durch die Wüste geritten und haben erstmalig feste Hochlager errichtet.
So gesehen war die Kongur I - Fahrt meine erste richtige Expedition.
Wir waren aber diesem Berg damals nicht gewachsen und sind nach der Besteigung des 7350 m hohen
Junction Peak nur mit viel Glück alle wieder gesund nach Hause gekommen.
Ich hatte jedoch bei dieser Expedition enorm viel gelernt und war mir mit dem Leiter,
Reinhard Fretter aus Potsdam, einig geworden, 1994 eine Expedition zu einem der beiden leichteren
Achttausender, Cho Oyu oder Shisha Pangma, zu organisieren. Beide Berge waren in dem magischen
Klub der 14 Achttausender dieser Erde und bedeutend leichter zu besteigen als der Kongur I.
Leider wurde Reinhard zu Ostern 1993 zusammen mit seiner Freundin in den Walliser Alpen von
einer Lawine getötet.
Nach dieser Katastrophe beschlossen Reinhards Bruder Uwe und ich trotzdem eine Achttausender
Expedition durchzuführen, auch im Gedenken an Reinhard und Sabine.
Wir haben uns dann für den Shisha Pangma entschieden und waren 13 Freunde, die nach Tibet
aufgebrochen sind.
Die Vorbereitungstreffen haben wir damals im Billardzimmer der Dresdner Szenekneipe "Cholera"
durchgeführt, als Sponsoring hatten wir halbe Bierpreise, und bei jedem Treffen trotz vieler
Arbeit auch jede Menge Spaß. Leider gibt es diese Kneipe nicht mehr, aber das "Gerücht" zu
Laubegast, in dem wir jetzt unsere Treffen veranstalten, ist auch Klasse.
Wir mussten irgendwann 35.000 USD nach China überweisen und haben fast alles selbst bezahlt.
Der Dresdner Bergsportladen "Die Hütte" hat uns viel bei der Ausrüstung geholfen und von
der Feldschlößchen AG kam finanzielle Unterstützung. Ich war Expeditionsleiter, Udo Henke
Stellvertreter, die Hauptarbeit bei der Vorbereitung hat Wieland Adler geleistet.
Irgendwann sollte uns der freiberufliche Kameramann Stefan Urlaß die Handhabung einer Videokamera
erklären. Er gab nach zwei
Stunden resigniert auf und sagte: "Da kann ich auch gleich selbst mitfahren".
Mit diesem Entschluss begann seine Karriere als Bergfilmer.
Kritische Phasen gab es viele, die schlimmste kurz vor Schluss, als plötzlich zwei von uns,
wir waren ursprünglich 15 gewesen, ausstiegen und sich damit der Preis für alle anderen
erhöhte. Aber wir konnten die sich abzeichnende Ausstiegskettenreaktion verhindern, gerade
noch mal so.
Wir hatten keine Agentur in Kathmandu und haben alles direkt mit den Chinesen abgewickelt.
Von vielen Sachen, die uns heute selbstverständlich erscheinen, hatten wir einfach keine Ahnung.
Über ein nepalesisches Küchenteam haben wir überhaupt nicht nachgedacht, hätten wir auch
nicht bezahlen können, es war klar wir würden selbst kochen.
Mitte März trafen wir in Kathmandu ein. Unser Arzt Christian Stelzner kannte die Stadt etwas
und empfahl uns das Hotel "Marsyangdi Mandala". Seit 1994 checken wir nun jedes Jahr in diesem
Hotel ein und haben gute Freunde im und um das Hotel herum gefunden.
Nach zwei Tagen ging es weiter nach Kodari, Zanghmu zur chinesischen Grenze.
Dort erwarteten uns die chinesischen Begleiter, der Verbindungsoffizier und sein Dolmetscher.
Chinesische Verbindungsoffiziere sind ein Kapitel für sich - Themenwechsel !!
Im 2500 m hoch gelegenen Zanghmu unternahmen wir die ersten Akklimatisationstouren. Es war
völlig klar, das wir am Berg natürlich ohne Flaschensauerstoff und ohne Hochträger arbeiten
würden. Bergsteigen ist für mich mit diesen Hilfsmitteln undenkbar. Seit unserer ersten
Expedition in den Himalaya haben wir uns daran gehalten, und das wird auch weiterhin unsere
"Geschäftsgrundlage" sein.
Aber deshalb muss man der Akklimatisation sehr große Aufmerksamkeit widmen, besonders wenn man
mit dem Auto ins 5000 m hoch gelegene Shisha Pangma Basislager fahren will. Dort sollten sich
alle fit und gesund fühlen. Im nächsten Ort, Nyalam auf 3700 m haben wir deshalb drei volle
Akklimatisationstage verbracht und umliegende Berge bis zu 5000 m Höhe bestiegen.
In Nyalam waren wir Gast bei Tashi im Snowland Hotel. Tashi ist einer der wenigen Tibeter,
die es geschafft haben in ihrem Heimatland zur Mittelschicht zu gehören. Er besitzt ein eigenes
Hotel und ein eigenes Restaurant. Sonst sitzen auf den Machtpositionen in Tibet oft Chinesen.
Anfang April erreichten wir dann, nach einer ganztägigen Fahrt mit Jeep und LKW das Basis- oder
Fahrerlager am Shisha Pangma. Da lag er also vor unser der "Platz über den Weiden". Wir wollten
wirklich einen Achttausender besteigen und waren ihm schon verdammt nahe gekommen. Das war ein
irres Gefühl, so als würden sich Realität und Traum vermischen.
Für den Anmarsch in das 25 km entfernte, 5400m hoch gelegene ABC, das Advanced Basecamp nutzten
wir erstmalig die Hilfe von Yaks. Über das Be- und Entladen, den Marsch mit diesen zotteligen
Tieren und ihre Chefs, die Yak-Men ließe sich eine eigenständige Seite anlegen, vielleicht
machen wir das auch irgendwann einmal.
Mit der Errichtung des ABC begann dann die Bergsteigerei an unserem ersten Achttausender.
Wir waren jetzt allein, unsere chinesischen Begleiter hatten es vorgezogen im Fahrerlager zu
bleiben und andere Expeditionen waren vorerst noch nicht am Berg. Nach und nach sollten dann
schon noch ein paar Expeditionen kommen - Kanadier, Amerikaner und nicht zu vergessen die Damen
und vor allem die Herren von der 1. Österreichischen Frauenexpedition. Aber zunächst waren wir
allein und mächtig stolz auf unser ABC.
Dann begann in den nächsten Tagen das ganz normale, anstrengende Treiben bei einer Achtausender
Expedition. Abmarsch in Gruppen von fünf oder sechs Leuten, mit dem Ziel ein Hochlager zu
errichten. Dabei muss der Weg erkundet, gefunden und markiert werden. An gefährlichen Stellen
haben wir Fixseile angebracht und nach Aufbau des Hochlagers sind wir immer wieder zur Erholung
ins Basislager abgestiegen. Dort warteten schon die Kameraden mit warmen Getränken und leckeren,
selbstgekochten Mahlzeiten. So entstand nach und nach die Lagerkette. Diese bestand am 24. April
aus dem ABC auf 5400 m, dem Depot auf 5600 m, dam Lager 1 auf 6200 m und dem Lager 2 auf 6700 m.
Am 24 April begann der Gipfelsturm der ersten Gruppe, dazu gehörten Uwe Fretter, Frank Gräfe
und ich. Wir sollten über die Lagerkette zum Nordwestgrat des Shisha Pangma aufsteigen, dort
auf 7400 m Lager 3 errichten und dann am nächsten Tag zum Gipfel vorstoßen. Es lief alles
glatt und das Wetter spielte auch mit.
Am 27. April brachen wir früh von Lager 2 in den Korridor, ein seltsames Hochtal zwischen zwei
Graten, auf und betraten damit unbekanntes Gebiet.
Wir wussten, dass die Rinne vom Korridor hinauf zum NW-Grat die technische Schlüsselstelle sein
würde und mussten uns dann auch im bis zu 50 Grad steilen Blankeis regelrecht hinaufhacken. Am
nächsten Tag, nach ergiebigem Schneefall, konnte man die Rinne einfach hinunterrennen, aber
hinauf verlangte sie uns alles ab.
Trotzdem standen wir gegen 15.00 Uhr auf dem Nordwestgrat und bauten an einer durch zerstörte Zelte
gut markierten Stelle unser Lager 3-Zelt auf. Danach fielen wir uns in die Arme - wir hatten es
geschafft. Vollkommen glücklich, wenn auch richtig fertig, krochen wir zu dritt ins Zelt und
informierten das ABC per Funk über unseren Erfolg.
Inzwischen trafen die Sherpas des italienischen Kamerateams der österreichischen Frauenexpedition
ein. Auch sie errichteten ein Zelt und stöberten in den Ruinen der verlassenen Zelte vergangener
Jahre herum. Dort entdeckten sie die Körper zweier Bergsteiger, die bereits seit zwei Jahren
vermisst wurden. Wir waren schockiert, gelobten uns am nächsten Tag besonders vorsichtig zu sein
und aufeinander aufzupassen, aber dann verlangte der Alltag in 7400 m Höhe unsere volle
Aufmerksamkeit. Kochen, Essen, Trinken, Trinken, Trinken und nochmals Trinken sind die Pflichten,
die es am Tag vor dem Gipfelsturm, der hinauf über 8000 m führen soll, zu erledigen galt.
Am 28. April gegen 6.00 Uhr starteten wir zu dritt zum Gipfel des Shisha Pangma. Es war eisig kalt
aber windstill und es lag ziemlich viel Schnee auf dem Nordwestgrat, so dass manche Stellen sehr
anstrengend und auch gefährlich waren. Wir gingen allein, ohne Seil, jeder in seinem eigenen
Tempo, an den schweren Stellen warteten wir aufeinander und kletterten gemeinsam, dabei lösten
wir uns in der Führung ab. Die Route folgt zunächst dem Nordwestgrat, der im spitzen Westgipfel
ausläuft. Bei einem markanten Gendarm verlässt die Normalroute den Grat und führt technisch
einfach, aber stark Lawinen ausgesetzt nach links durch eine Mulde zur sanften Kuppe des wenige
Meter höheren Hauptgipfels.
Wir begannen die Querung und je weiter wir uns vom Grat entfernten, umso tiefer und unangenehmer
wurde der Schnee. Ich führte und musste schreien, um Frank und Uwe auf weite Distanz zu halten.
Plötzlich machten sich die Sherpas der Italiener bemerkbar und bedeuteten uns, umzukehren.
Am Grat teilten sie uns mit, dass der Gipfel rechts sei, und das wir in der Mulde mit einer
Lawine sterben würden.
Wir kletterten also mit den Sherpas weiter den Grat hinauf, was zunehmend schwerer und
gefährlicher wurde. Aber das Klettern, die totale Konzentration darauf, keinen Fehler zu machen,
lenkte von der dünnen Luft und dem weiten Rückweg ab.
Dann, gegen 13.00 Uhr war es soweit. Es ging nicht mehr höher. Ich stand neben Uwe auf den
Spitzen meiner Steigeisen und hielt den nur fünf Zentimeter breiten Gipfel in den Händen.
Wir sahen uns kurz an und saßen uns sofort im Reitersitz auf dem Gipfel gegenüber.
Wir waren fix und alle und total glücklich. Vor langer Zeit hatten wir in Dresden angefangen.
13 Freunde wollten das unmöglich Erscheinende trotzdem versuchen und jetzt waren wir am Ziel,
auf dem Gipfel eines Achtausenders. Soweit wir schauen konnten, lagen alle Gipfel unter uns,
nur die sanfte Kuppe des Hauptgipfels, von uns durch einen langen, messerscharfen, zunächst
abfallenden Grat getrennt, schien es an Höhe mit uns aufnehmen zu können.
Nach wenigen Minuten begannen wir mit dem Abstieg und an der ersten etwas flacheren Stelle,
noch oberhalb 8000 m, bat mich Uwe seinen Rucksack zu halten, riss sich die Hosen herunter und
hockte sich hin. Damit dürfte er in dieser Disziplin der höchste Sachse sein.
Wir kamen heil wieder herunter und am nächsten Tag schaffte es Heiko Züllchner im Alleingang
zum Gipfel.
Nach zwei Wochen waren wir alle wieder gesund im Fahrerlager und es würde mit einem Erfolg
nach Hause gehen. Vier auf dem Gipfel, alle gesund und immer noch Freunde - Bergsteigerherz,
was willst du mehr.
Dort im Basislager trafen wir dann auf Thomas Türpe, der von einer erfolgreichen Cho Oyu
Expedition mit dem Summit Club kam und dort wurde die Idee zur Sächsischen Everest Expedition
1996 geboren. Aber das ist eine andere Geschichte.
Noch einige abschließende Gedanken zum Shisha. Zum ersten Mal 8000 m, zum ersten Mal in den
Medien, diese Expedition stellt schon einen Wendepunkt in meinem Leben dar. Ich habe schon
manchmal überlegt, was geworden wäre, wenn wir keine Chance gehabt hätten. Vielleicht wäre
ich nie wieder an einen Achtausender gefahren und mein Leben würde heute ganz anders
aussehen - so ging es mit dem Bergsteigen aufwärts und mit dem vernüftigen, bürgerlichen Leben
bergab - was solls, es lohnt sich wohl nicht allzu viel darüber nachzudenken.
Noch zwei Dinge, vier waren ganz oben, aber das wir soweit gekommen sind, ist ein Verdienst
aller 13 Leute, die zusammen unterwegs waren. Wir waren als Sächsische Expedition erfolgreich,
nicht als einzelne Bergsteiger und auf diesem Zusammenhalt basieren alle Erfolge der künftigen
Expeditionen und daraus entsteht auch die Stärke, Niederlagen einzustecken und trotzdem
weiterzumachen.
Zum Schluss sei noch angemerkt: jetzt, wo ich den Bericht schreibe, haben wir das Jahr 1999, und im
Frühjahr stand ich auf meinem dritten Achtausender, dem Manaslu - na ja, 1994 am Shisha war es
ja bloß der Westgipfel. Stimmt, meine drei Achtausender sind Cho Oyu, Manaslu und Shisha Pangma
Westgipfel, wenn es denn der Westgipfel war und wenn der wirklich niedriger ist und wenn
- Schwamm drüber. Falls es wirklich jemals richtig wichtig und interessant werden sollte,
so nach dem 11. oder 12. Achttausender fahre ich eben nochmal zum Shisha Pangma.
"Das ist ja albern" - recht hast Du, Helge!
Shisha Pangma '94
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